Kristof Büsing

Leiter der Kemptener Kinderkantorei an der St. Mang Kirche Kempten im Allgäu

Interview in Kempten im April 2024

Kantor und Chorleiter – war es Ihr Wunsch-Beruf? Was macht er für Sie aus?
Ist er für Sie (auch) eine Berufung?

Ich bin von Kindesbeinen an von Musik umgeben. Vor allem die Blasmusik hatte es mir frühzeitig angetan. Also spielte ich ein Blasinstrument – aber doch nicht ein ganz klassisches – also keine Flöte und auch keine Trompete – sondern Klarinette. Dann kam noch das Saxophon dazu, später auch Klavier und Posaune. Das war mein Betätigungsfeld. Nach dem Abitur machte ich neben dem Studium der Sozialpädagogik an der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung in Trossingen den B-Schein für Dirigenten im Blasorchester und leitete sechszehn Jahre lang einen tollen (Blas)Musikverein in meiner Nachbarschaft. Aber das Singen war mir auch immer eine Herzensangelegenheit und hat mich auch neben meinem Beruf – ich bin staatlich anerkannter Erzieher und Sozialpädagoge und arbeite als Trägervertreter für die kommunalen Kindertageseinrichtungen für die Stadt Kempten – immer in Bewegung gehalten und beschäftigt. 2018 übernahm ich zunächst die Leitung des Gospelchores Durach – und 2021 schließlich die neu gegründete Kemptener Kinderkantorei – eine wunderbare Aufgabe, in der ich Beruf und Leidenschaft mit jeder Menge Begeisterung und Freude verknüpfen kann. Hier singe ich mit etwa 30 Kindern so ziemlich alles, was geht: geistliche, weltliche, kinderstimmengerechte, begeisternde und natürlich hauptsächlich selbstgeschriebene Lieder von mir.

Das Musizieren intensiv, aber dennoch nicht vollberuflich, sondern als (zeitintensives) Hobby zu betreiben, war eine bewusste Entscheidung von mir. Vor allem die Leitung hat mich immer gereizt, weil ich Menschen für diese besondere Leidenschaft begeistern will. Musik hinterlässt Spuren in allen, die damit in Berührung kommen, sie hat eine ureigene Kraft, stärkt die Lebenslust und stiftet Lebenssinn – das zu vermitteln, ist mir ein großer Ansporn. Insofern verstehe ich diese Aufgabe für mich auch als Berufung – ja: das trifft es sehr gut – weil sich hier alles verknüpfen lässt, was mir wichtig ist: Musik als Lebensfreude und die Kraft des Wortes in der Bewahrung der Schöpfung und aus dem Evangelium als Lebenssinn.

Was waren Ihre Ambitionen beim Berufseinstieg?
Hatten Sie das Ziel, aktiv pädagogisch zu arbeiten, von Anfang an?

Die Pädagogik war, im weitesten Sinn, schon von klein auf mein Berufsziel. Zunächst hatte ich erwogen, Religionspädagoge zu werden – dann wurde aus mir der Erzieher und Sozialpädagoge. Qualifikationen, die mir in der Chorleitung sehr helfen und eine große Bewegungsfreiheit schaffen, weil diese Kompetenzen für jede Gruppe von hoher Qualität sind. Die Arbeit mit Menschen ist auch eine Arbeit für Menschen und eine Arbeit an mir selbst. Die gemeinsame Entwicklung beflügelt und fasziniert – mittlerweile auch schon rückblickend. Da ist schon ein Stück Wegstrecke voller guter und wichtiger Erfahrungen, die mich sehr ermutigt und fasziniert und zeigt, was und wieviel geht, wenn man sich auf den Weg macht …

Wie verhält sich das pädagogische Ziel zum künstlerischen Anspruch als Musiker?

Wenn ich beides ins Verhältnis bringen soll, sehe ich es weniger geschwisterlich als freundschaftlich. Bei Geschwistern gibt es ja zunächst immer größere und kleinere und zumindest eine Zeitlang eine unterschiedliche Stellung innerhalb einer Familie. Freunde haben eine andere Balance – so ergeht es mir in Bezug auf Musik und Pädagogik. Sie ergänzen einander und verhelfen sich gegenseitig zu größtmöglicher Entfaltung. Grundsätzlich ist die Pädagogik für mich Mittel zum Zweck, das heißt also zum Ziel schönster Musik. Die Musik wiederum schenkt mir durch ihre Strukturen Möglichkeiten, pädagogisch agieren zu können – im Hören und Zuhören, als Reflektion und Grundbedingung für Gemeinsamkeit.
Das ist ein großes und weites Feld. Und ich habe dabei einen hohen Anspruch an mich. Mit Kindern arbeite ich grundsätzlich sehr niederschwellig – ich will sie mit künstlerischem Anspruch nicht verschrecken. Gleichzeitig arbeite ich aber natürlich künstlerisch, nur mit völlig natürlichem Impetus. Am Ende, hinter der Ziellinie sehen wir das Ergebnis, feiern es und klopfen uns für den zurückgelegten Weg stolz und voller Freude auf die Schulter.
Nicht jede Idee zündet sofort bei den Kindern – ich muss sie daher nicht unbedingt mit einem abstrakten, entfernten Ziel konfrontieren. Stattdessen mit Erfolgen im Moment. Dafür ist die pädagogische Ausbildung eine gewaltige Stütze. Und am wesentlichsten ist schließlich die Begeisterung für die Sache: habe ich sie selbst, dann kommen auch die Kinder mit. Denn Begeisterung lässt sich vervielfältigen und versetzt Berge.

Als Musiker bekommen Sie unmittelbar Resonanz durch Konzerte und Aufnahmen. Als Pädagoge brauchen Sie einen längeren Atem – Sie säen und ernten die Früchte oft erst Jahre später. Wie ist Ihre Erfahrung damit?

Als Pädagoge mit einer sehr inklusiven Haltung nehme ich kleinste Entwicklungsschritte wahr. Die feiern wir gemeinsam – ob in der Probe oder im Konzert. Hier applaudieren wir uns gegenseitig, dort applaudieren die anderen, die spüren, wie uns etwas besonders gelingt. Und natürlich lasse ich das die Kinder auch im Konzert spüren, wenn sie über sich hinauswachsen – das spiegele ich ihnen unmittelbar, wenn auch zwangsläufig nonverbal … aber die Gänsehautmomente teilen wir immer.
Als Musiker und Dirigent kann ich mich immer auch an kleinen Dingen freuen, an besonderen Momenten im Konzert, an großer Konzentration in der Probe … das sind alles Mosaiksteine einer klingenden Gemeinschaft, die sich im Klingen gegenseitig stärkt und daran wächst. Das sind Früchte, die das ganze Jahr über reifen und für die es kein Mindesthaltbarkeitsdatum gibt.

Was schätzen Sie an der Chorarbeit mit Kindern und Jugendlichen?
Welche besonderen Aufgaben sehen Sie hier?

Singen ist zunächst die niederschwelligste Form des Musizierens, es braucht keine Voraussetzung außer mich selbst. Ich bin der Resonanzkörper, meine Seele hat einen Klang und kommt in Schwingung, ganz nach Stimmung mit unterschiedlichem Ausdruck. Besonders schön ist es gemeinsam, wenn aus vielen Stimmen eine wird, wenn es mehrstimmig wird. Die Verschiedenartigkeit, die sich in der Gemeinschaft verbindet, ist das Schöne. Mit meiner Liedauswahl und der inhaltlichen Gestaltung von Konzerten trage ich eine hohe Verantwortung für das Erleben der Kinder. Ich präge damit ihre ersten Erfahrungen, ihren Geschmack, ihren Eintritt in die Welt der Musik und was sie aussagen und mitgeben kann. So wird der Kinderchor zum Einstieg in die mannigfaltige Welt des Musizierens und Singens. Ich habe daran vielfältig Anteil – als Alleinunterhalter, als Führender, als Zeigender, als Gestaltender, als Fordernder und Fördernder – gleichzeitig als Genießender, Abgebender, Beschenkter, Erntender … das ist der Schatz meiner Arbeit.

Was erachten Sie als wesentlich, um Kinder und Jugendliche für das Singen und die Chorarbeit zu begeistern?

Kinder sind so ziemlich für alle Einflüsse offen – ich kann mich einmischen und einen Teil einbringen, von dem ich denke, dass er besonders ist und die Kinder stärkt – sowohl im Moment als auch für ihre Zukunft und ihren ganzen Lebensweg, wenn sie sich dessen erinnern. Wesentlichstes Element dabei ist meine eigene Begeisterung, mit der ich die Kinder anstecke und die wir schließlich teilen.
Wichtig für eine lebendige Chorgemeinschaft sind gemeinsame Erfolge, gemeinschaftsstiftende Erfahrungen, gemeinsames Lampenfieber und die gemeinsame Erfahrung, es zu überleben … schließlich und vor allen Dingen eine gemeinsame Augenhöhe in der Begegnung und das Abholen der Kinder dort, wo sie sind: in ihrem Alter, in ihrer Welt, in ihrer Neugier und mit ihren Fragen.

Singen ist potenziertes Musizieren – immer agieren Sie auch mit Worten und Texten; mit Aussagen, die die Energie der Musik zusätzlich prägen. Wovon lassen Sie sich bei der Repertoire-Auswahl primär leiten: Von guter Musik? Von guten Texten? Was ist ausschlaggebend?

Wie bei so vielen Dingen im Leben ist es auch hier die Mischung, die aus der jeweiligen Situation und für den jeweiligen Anlass erwächst. Ich weiß um meine Verantwortung als Erwachsener gegenüber den Kindern – und ich habe gleichermaßen einen Anspruch an beides: Text und Musik.
Wichtig ist mir für die Kinder, dass es ansteckend und einprägsam ist. Egal ob ruhig oder peppig, gesummt oder gerappt – es muss begeistern. Es braucht eine Leichtigkeit, damit die Kinder keine schweren Schultern bekommen. Dafür schreibe ich viel selbst – vom Kanon bis zum Musical, vom Segenslied über das Geschichtenlied bis zum elementaren Spaß- und Bewegungslied.

Gibt es eine Tradition, die Sie selbst prägt und die Sie weitervermitteln wollen?

Als Jugendlicher hatte ich das riesige Glück, als Sänger und Saxophonist in einer Band mit Jugendchor arbeiten und auftreten zu können. Diese Tradition hat mich zutiefst geprägt und hat eine tief wurzelnde Lebendigkeit in mir. Die flügelleichte, herzbefreiende Kombination aus Musik und Evangelium ist die Tradition, die mich hierhergeführt hat, wo ich gerade bin.
Ich hatte extrem gute musikalische Lehrer, deren musikalische Passion mich stark geprägt hat. Die mich begleitende Freude und die Auffassung, was ich tue, voller Überzeugung und in bestmöglicher Qualität zum Klingen zu bringen, sind wesentliche Dinge, die ich weitergeben will.

Gibt es Stücke, die Sie anderen Kinder- oder Jugendchören empfehlen würden?
Haben Sie ein – oder mehrere Lieblingsstücke, die Sie immer wieder gern mit Kindern oder Jugendlichen einstudieren?

Empfehlungen auszusprechen, fällt mir etwas schwer, weil jede Chorleiterin und jeder Chorleiter andere Vorlieben und andere Möglichkeiten hat. Die Begeisterung, mit der jede und jeder zu Werke geht, trägt ja überall ihre eigenen Früchte. Anything goes, wenn alle davon begeistert sind. Wir singen sehr viel aus meiner eigenen Feder – wer darauf Lust hat und sehen will, was es ist, findet allerhand unter musiknoten-buesing.de

Was ist das schönste Lob und der größte Dank, den Sie für Ihre Arbeit als Kantor und
Chorleiter erhalten?

Jede Woche neugierige Kinder, die sich darauf freuen, dass sie miteinander in Schwingung geraten. Die Glückstränen in den Augen der Eltern während und nach unseren Konzerten. Die hoch konzentrierten und strahlenden Gesichter der Kinder, wenn es losgeht …

Das Gespräch mit Kristof Büsing führte Klaus-Martin Bresgott.

Fotos: Kulturbüro des Rates der EKD/Ralf Klöden